09. Juni 2021

Wie konnte das passieren?

Vergrößerungsglas und Fingerabdruck
Quelle
Pixabay | bluebudgie

Weil es so wichtig ist und weil es immer wieder passiert, möchten wir gern auf einen ganz besonderen Artikel hinweisen:

Wie konnte das passieren? Ein beispielhafter Reinfall auf Online-Kriminalität, geschrieben von Anne Alhäuser, erschienen im Durchblick Siegen Nr. 2/2021

Es fängt an mit einem Anruf am frühen Freitagnachmittag: Eine Frauenstimme mit starkem ausländischem Akzent versucht, mir etwas zu sagen. Ich verstehe zwar "Microsoft", aber mehr auch nicht und sage der Dame, dass ich sie leider nicht verstehe, und lege auf. Das mache ich eigentlich immer bei Anrufen dieser Art.

Aber kurz darauf geht wieder das Telefon. Diesmal ist es ein Mann, er spricht ebenfalls mit Akzent, ist aber besser zu verstehen. Er meldet sich als Mitarbeiter von Microsoft. Er sagt, dass Microsoft festgestellt hat, dass mein PC gefährdet ist und ich leicht Opfer von Kriminellen werden könnte, die alles in meinem PC einsehen können: meine E-Mails, mein Online Banking etc. Ich reagiere zunächst ungläubig: "Nein, mein PC ist in Ordnung!" Er sagt: "Öffnen Sie Ihren PC" und gibt mir eine Tastenkombination. Auf meinem PC erscheint eine Seite mit Warnmeldungen. "Das beheben wir gern kostenlos", sagt mein Anrufer. Ich bin zwar irritiert, aber in dem Moment hat er mich auch schon am Haken, was wäre, wenn?

In der Zwischenzeit erscheint meine Freundin, wir sind verabredet für einen Spaziergang. Sie wartet eine Weile und beobachtet, was da passiert. Mein Anrufer sagt, dass er eine TAN braucht, um weiterzuarbeiten. Inzwischen ist er mit dem Team Viewer in meinem PC. Mein Desktop ist schwarz, ich sehe nur die Bewegung seines Cursors auf der Scheibe, habe kein gutes Gefühl dabei, aber Herr Fernandez - ich habe ihn nach seinem Namen gefragt - beruhigt mich: "Sie können bei Ihrer Bank nachfragen, alles ist in Ordnung, ich bin da!" Nach einer Zeit verabschiedet sich meine Freundin, weil der Prozess wohl doch länger dauert und gibt mir zu verstehen, dass sie das ganze suspekt findet. "Ich auch" antworte ich ihr, bleibe aber trotzdem dran am PC.

Immer wieder fordert Fernandez neue TANs, und plötzlich werden die Summen, die ich eingeben soll, größer. Ich steige aus und lege einfach auf. Sofort geht das Telefon, "Keine Sorge, alles ist in Ordnung", er suggeriert mir, dass er diese Zahlen braucht, um den Schaden zu beheben. Ich lasse mich einseifen und mache weiter und frage ihn, wie lange das noch gehen soll. Er nennt eine Prozentzahl, wie weit wir bereits gekommen seien: "Geben Sie mir noch fünf Minuten." Aus den fünf Minuten werden Stunden. Nach einer Weile lege ich wieder auf, weil ich kein gutes Gefühl bei der Sache habe, aber auch sehr unsicher bin. Sofort erneuter Anruf: "Keine Sorge, Madam!" (Wir kommunizieren inzwischen in einem Gemisch aus Deutsch und Englisch).

Als er nach fast drei Stunden plötzlich die Eingabe einer Summe von 7.000€ fordert, sage ich ganz klar: "Nein, jetzt nicht mehr, ich mache Schluss!". "Okay", sagt er "es fehlen jetzt nur noch drei Prozent, wir machen morgen weiter." Inzwischen ist es 17:10 Uhr. Wir vereinbaren, dass er am Samstagmorgen um 10 Uhr wieder anruft.

Kurz darauf ein Anruf meiner Freundin. Sie hat ihrem Mieter erzählt, was da bei mir läuft. Der rät mir ganz aufgeregt, dass ich mir sofort einen Kontoauszug meiner Bank holen solle und mein Konto sperren lasse. Mit genau dieser Masche haben die Kriminellen seinem Nachbarn sämtliche Konten abgeräumt.

In Windeseile bin ich zur Filiale meiner Sparkasse gefahren und habe den Kontoauszug meines Girokontos geholt: 7.000€ plus! Wie konnte das sein? Mir ging auf, dass Herr Fernandez während seiner Aktionen unbemerkt eine größere Summe von meinem Fairzins-Konto auf mein Girokonto übertragen hatte, was ja ohne weiteres möglich ist. So konnte er dann mit den von mir angegebenen TAN-Nummern das Girokonto räumen. Mir wurde klar, dass ich auf einen ganz üblen Trick hereingefallen bin und habe direkt mein Konto sperren lassen.

Sofort versuchte ich, meine Spezialistin vom Senecafé zu erreichen, keine Antwort. Aber zum Glück habe ich ja auch noch andere Freunde bei ALTERAktiv, die sich mit diesen Dingen auskennen. Klaus Reifrath ist meine Rettung. Am Samstagmorgen früh bringe ich Klaus meinen PC. Er gibt mir den Tipp: "Frag den Kerl nach einer Telefonnummer, wo du ihn erreichen kannst uns sag, der PC geht nicht an, du meldest dich wieder bei ihm, wenn er wieder funktioniert. Jede Wette, der gibt dir keine Nummer und meldet sich nicht wieder!"

Kaum wieder zu Hause geht mein Telefon: Herr Fernandez! Eine Stunde früher als vereinbart. Als ich ihm erkläre, dass ich den PC nicht öffnen kann, weil er nicht da ist. "Ich habe ihn nämlich zu einem bekannten Experten gebracht." "Wir sind die besten Experten bei Microsoft!", ist seine Antwort. Er will es nicht verstehen, ich muss es ein paar Mal wiederholen, dass wir nicht weitermachen können, weil der PC nicht da ist. Er möge mir noch seine Telefonnummer geben, ich melde bei ihm, wenn der PC wieder da ist. Ich merke, er wird etwas ungehalten, gibt mir keine Telefonnummer, dafür aber eine E-Mail-Adresse. Das Gespräch ist beendet.

Inzwischen erscheinen auf meinem Smartphone E-Mails: Vielen Dank für Ihre Bestellung! Ich öffne eine und stelle fest, der angegebene Betrag entspricht exakt einer der Summen, die ich bei unserem "TAN-Spiel" angegeben habe. Mir ist klar: Das Geld ist weg! Gott sei Dank ist das Konto gesperrt. Was nun?

Am Montagmorgen nehme ich sofort Kontakt zur Sparkasse in Siegen auf. Ja, das Konto ist gesperrt, aber das Online-Banking nicht. Da erledigt die Mitarbeiterin der Sparkasse und empfiehlt mir, sofort zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Ohne diese Anzeige kann auch die Sparkasse nichts tun. Einen Kollegen hat sie sofort informiert, der versuchen soll, die Gelder zurückzuholen. Ich bekomme einen Kontoauszug über alle Buchungen. Dabei stellen wir fest, dass Herr Fernandez am Freitag gleich zweimal je 5.000€ von meinem Fairzins-Konto auf mein Girokonto übertragen hat, um davon dann all die Summen mit TAN abzubuchen. Bleibt mir nur die Hoffnung, dass es gelingt, wenigstens die größeren Summen zurückzuholen.

Bei der Polizei bekomme ich erstmal den Hinweis, ich müsse die Anzeige online erstellen. Geht nicht, ich habe meinen PC nicht und darf damit im Augenblick auch auf keinen Fall ins Internet gehen. Der Beamte erbarmt sich und ruft einen Kollegen, damit der die Anzeige schriftlich aufnimmt. Das ist ein großes Glück, denn der Beamte ist sehr interessiert an allen Details und gibt mir den Hinweis, dass ich mit der Anzeigenerstattung auch gegen alle Bestellungen, die eventuell mit meinen Passwörtern noch irgendwo getätigt werden würden, angehen könnte. Ich bin für ihn kein Einzelfall.

Bleibt noch der Gang zu meiner Sparkassenfiliale. Dort wird der ganze Hergang noch einmal im Detail aufgenommen. So habe ich die Chance, auch die restlichen Beträge von der Versicherung der Sparkasse zurückzubekommen. Die großen Beträge sind bereist zurück gebucht, was für ein Glück! Den Rest schreibe ich auch gerne als Lehrgeld ab.

Es ist unglaublich, wie konnte ich bloß auf diese Masche reinfallen? Mein Senecafé Experte war richtig sauer: "Ich sage es euch doch immer wieder, Microsoft ruft nie an!" Da habe ich wohl nicht aufgepasst, damit haben sie mich tatsächlich geködert. Dass die Polizei nie anruft und nach Daten und Wertgegenständen fragt, das weiß ich. Auch dass die Banken telefonisch keine Angaben zu Kontonummern etc. fordern ist mir bekannt. Und doch passiert es immer wieder, dass Leute darauf reinfallen. Die Betrüger sind Profis mit einem unglaublichen Geschick. Deshalb aufgepasst!

Quelle: http://www.durchblick-siegen.de/inhalt/
Weitere Informationen zum Standort Siegen und dem „Senecafé Treffpunkt Neue Medien“: https://www.digital-kompass.de/standorte/standort-siegen

Von
K.Braun